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Diagnose: Bequemlichkeit – Warum Sascha Lobo der PR-Branche zu Recht den Spiegel vorhält

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PR ist ein in aller Regel vom Rest der Welt missverstandenes Gewerbe. Daran haben PRler ohne Zweifel ihren Anteil, weil sie es versäumt haben, die Mechanismen ihres Geschäfts transparent zu machen und dem Rest der Welt zu erklären.

Ein weiterer Grund für das Missverständnis, was PR ist und will und soll, liegt darin begründet, dass kaum jemand weiß, wie PR tatsächlich, also in der Praxis funktioniert. Doch das eigentliche Drama, das letztlich dazu führte, dass Sascha Lobo heute der PR-Branche in Gänze einen Realitätsverlust bescheinigt, liegt darin, dass selbst viele PR-Leute nicht (mehr) wissen, was sie da eigentlich tun.

PR ist eben nicht (nur)

  • Pressemitteilungen schreiben und an Verteiler schicken in der Hoffnung, dass etwas hängen bleibt;
  • Journalisten “abtelefonieren” und “Artikel platzieren” (wie es manche unbedarfte Auftraggeber nennen);
  • Pressekonferenzen organisieren, über deren Inhalte Journalisten dann schreiben;
  • Pressereisen zu veranstalten, bei denen Journalisten (und gelegentlich Blogger) an besondere Orte gebracht werden, in der Hoffnung über das Erlebte oder die dort vermittelten Inhalte zu berichten;
  • Events zu konzipieren und durchzuführen, die der geneigten Journaille einen Anlass zur Berichterstattung bieten;
  • Die Präsenz von Unternehmen im Social Web zu gestalten und für abertausende Fans und Follower zu sorgen;
  • etc. etc.

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PR ist natürlich all das, beziehungsweise kann von jedem dieser Dinge etwas enthalten, wenn es angebracht ist. Die eigentliche Leistung der PR-Beratung liegt hingegen darin, zu entscheiden, wann eines oder mehrere dieser Instrumente angebracht sind und wann nicht. Der Professionalität des PR-Handwerks wiederum ist es überlassen, diese und andere Instrumente fachgerecht und in höchster Qualität einzusetzen. Leider gibt es natürlich genug PRler, die weder das Erstere tun, noch das Letztere beherrschen.

Symptome: Frust und Realitätsverlust

Wenn nun Sascha der PR-Branche einen Realitätsverlust bescheinigt, tut er das mit Hinweis auf eine in der Tat sehr kuriose Zahl aus den Ergebnissen des jüngsten “PR Trendmonitor“: Dort anworten auf die Frage “Was nervt Sie als PR-Fachkraft am meisten in Ihrem Arbeitsalltag?” (siehe Seite 38) 31,1% der PR-Leute aus Unternehmen und 39,8% der PRler aus Agenturen an: “Desinteressierte Journalisten”.

BÄM! Eine Steilvorlage für einen mit dem Talent zur spitzen Polemik gesegneten Autor wie Sascha.

Dass allein schon die Vorgabe dieser Antwortmöglichkeit in der als Multiple-Choice-Umfrage durchgeführten Studie, methodisch fragwürdig ist und geradezu zum Frustabladen einlädt, geschenkt!

Aber drehen wir doch einfach mal den Spieß um und fragen, warum so viele auf diese Antwortmöglichkeit angesprungen sind! Woran liegt es, dass 30-40% der PRler über Desinteresse auf Journalistenseite klagen? Bezeichnenderweise halten an anderer Stelle in derselben Studie zwischen 57 und 67% der Befragten Journalisten “immer noch [für] die erste Ansprechperson für die Pressemitteilungen” (Seite 23).

Auch hier ein methodischer Faux-pas in der Fragestellung, aber interessant ist die Diskrepanz: Einerseits sind Journalisten für die PRler wichtig, andererseits herrscht Frust über Desinteresse. Woran das Desinteresse – das ich aus eigener Praxis gut kenne, es ist keineswegs eine Schimäre! – allerdings liegt, danach fragt die Studie nicht.

Einen Hinweis gibt Seite 13 der Studie. Dort wird die “Personelle Ausdünnung in den Redaktionen” von 30,9% (Unternehmen) bis 52,3% (Agenturen) als “größte Herausforderung für Fachkräfte in Pressearbeit und PR” bewertet. Das reicht für Platz 3 nach “Social Media allgemein” (was auch immer das heißt) und “Erfolgsnachweise liefern” (das ewige Problem der PR).

Diagnose: Gestriges Denken & Bequemlichkeit

Wenn nun im Schnitt 40% aller PRler wissen, dass Journalisten aufgrund der Unterbesetzung der Redaktionen keine Zeit mehr haben, dann aber trotzdem über Desinteresse klagen, kann ich das wie Sascha nur mit einem vollkommenen Realitätsverlust erklären.

Und noch schlimmer, hier zeigt sich ein Verlust des Bewusstseins darüber, welche Qualität professionelle PR eigentlich haben sollte: Nämlich die Fähigkeit, Themen zu definieren und so aufzubereiten, dass sie interessant werden.

Dazu braucht es mehr als eine Verlautbarung, die in eine Pressemitteilung gegossen wird. Dazu braucht es mehr als eine Pressekonferenz, auf der ein paar Geschäftsführer oder Produktmanager in fein ziselierten Worten erklären, warum ihr Unternehmen so erfolgreich oder das Produkt so toll ist. Dazu braucht es mehr als eine Gastbeitrag in einer Fachpublikation zu einem exotischen Expertenthema.

Dazu braucht es Wissen über die Branche des Kunden, Wissen über den Wettbewerb und die Marktentwicklung. Dazu braucht es belastbarer und vertrauensvoller Beziehungen zu Redakteuren und Respekt vor deren Arbeit und knapper Zeit. Dazu braucht es aber vor allem auch Widerspruch gegen Rezeptdenken, das von Kunden gern bemüht wird (“Sie telefonieren den Verteiler dann ja auch ab, nicht wahr?”) und den unbedingten Willen zur Beratung.

Und mit Beratung meine ich nicht das neu Zusammentackern allseits beliebter Zutaten zu einem neuen Rezept, sondern die Fähigkeit zu konzeptionellem Denken und konstruktiv-partnerschaftlichem Ringen mit Unternehmenslenkern nach der besten Lösung für ein kommunikatives Problem.

Es ist natürlich bequem, die eigene Erfolglosigkeit auf die Umstände zu schieben (ausgedünnte Redaktionen) oder auf das Gegenüber (desinteressierte Journalisten). Es ist bequem, “Social Media allgemein” als Allheilmittel für die eigenen Versäumisse zu verklären und ein paar Wortstanzen von den wenigen Leuten abzugucken, die davon in Deutschland wirklich Ahnung haben.

Therapie: PR ohne Journalisten (zumindest ein bisschen)

Man kann es sich in diesem Weltbild bequem machen, schließlich verdient man damit (noch) gutes Geld. Man kann aber auch seinen Job mit einem Quäntchen mehr Selbstachtung und persönlichem Ehrgeiz betreiben und sich ein paar Gedanken machen, wie es künftig besser geht.

Ein kleiner Hinweis darauf findet sich ebenfalls im Trendmonitor. Auf die Frage, wie Social Media die Zusammenarbeit mit Journalisten verändert habe, sagten rund 10%: “Für die eigene PR sind Journalisten nicht mehr zwingend notwendig.” Das ist die wohl wichtigste und zukunftsweisendste Aussage der ganzen Studie.

Wer als PRler mal darüber nachdenkt, wie PR funktionierte, gäbe es keine Journalisten mehr, wird sich über kurz oder lang fragen, ob sein über viele Jahre mit Erfolg genutztes Instrumentarium (s.o.) nicht langsam stumpf geworden ist. Und dann spielt das Social Web tatsächlich eine zentrale Rolle.

 

(Fotocredit: IMG_8479 CC by Jack Zalium)


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