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Sparkurs total – Was bedeutet die Medienkrise für die PR?

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Dieser Tage möchte man kein angestellter Journalist sein. Große, einstmals unerschütterlich wirkende Verlagsgruppen kappen Kosten, verlegen Redaktionen und streichen Stellen. Auch die Fernsehbranche bleibt nicht verschont, wie die geplante Verlagerung von Sat.1 nach München zeigt. Das hat nicht nur Auswirkungen auf die Qualität des Journalismus in Deutschland, das allein ist schon alarmierend genug. Es wird auch die Arbeit von PR-Agenturen und Pressestellen verändern.

“Zeitschriften sind Grundnahrungsmittel.”
Hubert Burda in seiner Eröffnungsrede der VDZ-Zeitschriftentage. (horizont.net via Turi2)

Wenn das so ist, werden wir in absehbarer Zeit deutlich hungriger durch die Welt gehen. Denn die Medienkrise ist hier. Die um sich greifende Rezession und die Versäumnisse der Verlage, sich rechtzeitig auf den Wandel des Mediennutzungsverhaltens durch das Internet einzustellen, führen zu weniger Anzeigen und zur Abwanderung von Lesern und Sehern zu anderen Medien. Die Folgen sind so dramatisch wie seit der Zeitungskrise infolge des Platzens der New Economy-Blase vor 8 Jahren nicht mehr.

Die Süddeutsche Zeitung soll 15 Millionen Euro sparen, die FAZ will die Kosten um zehn Prozent drücken, und heute verkündete auch Gruner+Jahr, man werde die bislang in Köln ansässigen Wirtschaftstitel “Capital” und “Impulse” sowie den Münchner Ableger “Börse Online” an die Zentrale nach Hamburg holen. Zuvor hatte bereits die Essener WAZ-Gruppe radikale Stellenkürzungen angekündigt.

Dass darunter die Qualität leidet, davon sind auch Journalistenkollegen überzeugt, die (noch?) von außen die Dinge beobachten. Diese Entwicklung ist für jeden von uns als Leser und Zuschauer traurig und ärgerlich zugleich. Die Rechnung hingegen ist simpel: Weniger Redakteure haben weniger Zeit, können weniger reisen, haben kaum Zeit für sorgfältige Recherche und müssen dennoch jeden Tag oder jede Woche das Blatt füllen.

Public Relations-Profis müssen ihre Arbeitsweisen überdenken

Für PR-Profis in Agenturen und Unternehmenspressestellen haben diese Umwälzungen gleich mehrere Auswirkungen:

  1. Pressearbeit wird zur Nischentechnik der PR
    Die direkte Ansprache von Journalisten mit Themenangeboten im Auftrag des Kunden – das “Pitchen” – wird schwieriger. Schon heute bekommt man einige Schlüsselpersonen in den Redaktionen kaum ans Telefon und wenn man ein paar Minuten Zeit zum Sprechen hat, kommt immer öfter die Antwort “Klingt interessant, ich kriege das aber nicht ins Blatt. Uns fehlen einfach Platz und Zeit.”

    Hinzu kommt, dass gewachsene, langjährig gepflegte Beziehungen zu Redakteuren auf einen Schlag wertlos werden, weil sich durch Sparmaßnahmen Ressortzuschnitte ändern und Zuständigkeiten für Themen neu verteilt werden. Oder der Redakteur ist eben nicht mehr da.

    Sicher werden nachhaltig gepflegte Beziehungen und ein vertrauensvolles Arbeitsverhältnis zwischen PRler und Journalist nicht überflüssig, doch wir müssen davon ausgehen, dass die klassische Pressearbeit künftig nicht mehr die Ergebnisse bringen wird, die wir bislang gewohnt waren.

  2. Crossmediales Denken wird wichtiger
    Parallel zum Stellenabbau werden in den Redaktionen auch neue Organisationsstrukturen geschaffen. So sollen die Mitarbeiter der künftigen zentralen Wirtschaftsredaktion von Gruner+Jahr alle Titel des Hauses mit Inhalten beliefern. Auch die Online-Redaktionen werden in der neuen Struktur aufgehen. Ähnliches praktiziert Springer bereits seit mehr als einem Jahr in der “Blauen Gruppe“, zu der die Titel “Welt”, “Berliner Morgenpost”, “Welt am Sonntag” und “Welt Online” gehören.

    Für PRler heißt das, dass sie in Zukunft weniger in einzelnen Publikationen, sondern eher in Ressorts denken müssen. Dazu gehört, Themen und Inhalte so aufzubereiten, dass sie unabhängig vom Veröffentlichungsmodus wie Print, Bewegtbild, Online-News, Blog, etc. genutzt werden können. Alles, was den unter Zeitdruck stehenden Redakteuren hilft, schneller und zielgerichteter zu arbeiten, wird seine Abnehmer finden. Starre Formate wie Pressemitteilungen und schriftliche Statements in glattgebügelter “Corporate Speak” werden hingegen an Bedeutung verlieren. Web-basierte Informationsangebote erfüllen die Kriterien Geschwindigkeit und universelle Verwendbarkeit am ehesten und werden künftig das PR-Werkzeug Nummer 1 sein.

    Sobald die Verlage den Schock der vergangenen Wochen verdaut haben, werden auch sie in Online endlich die Chancen sehen. Rupert Murdoch, der Medienromantik unverdächtig, sagt denn auch ganz treffend:

    “Our real business isn’t printing on dead trees. It’s giving our readers great journalism and great judgment.” (via Guardian)

  3. Unmittelbare Kommunikation mit den Kunden lernen
    Parallel zur Medienkrise findet eine Umwälzung der Mediennutzungsgewohnheiten in Richtung Internet statt und die Meinungsbildungsprozesse fragmentieren sich. Das fordert von PR-Beratern eine Hinwendung zu unmittelbareren Kommunikationsmitteln, die sich in die Gespräche der Menschen untereinander einweben lassen. Dazu gehört im ersten Schritt vor allem, das aufmerksame Zuhören (wieder) zu erlernen und so etwas wie Empathie empfinden zu können, trotz medial vermittelter Prozesse.

    Die jahrzehntelange Beschränkung auf die Einweg-Kommunikation in Form von Verlautbarungen hat Unternehmen und leider auch viele Marketing- und PR-Entscheider dazu verleitet, nach dem Motto “Viel hilft viel und wer lauter ist gewinnt” zu agieren. Aber wer schreit, kann nicht zuhören, geschweige denn mitreden.

    Wenn PR-Agenturen nicht als verlängerte Werkbank für die klassische Pressearbeit ihr eigenes Ende herbeiführen wollen, müssen sie ihren Leistungs- und Beratungumfang erweitern. Hin zu mehr Dialog, als Mittler in den Konversationen von Unternehmen zu Kunden und Interessenten.

  4. Kunden beraten und auf den Wandel einschwören
    Als PR-Berater sind wir so dicht an den Medien und an ihrem Strukturwandel dran, wie wohl kaum einer unserer Kunden. Deshalb müssen wir unseren Klienten auch erklären, warum Vorgehensweisen und Ergebnisse, die vor zwei Jahren noch als Erfolg verbucht wurden (z.B. ein dreispaltiger Artikel im gedruckten Wirtschaftsteil der FAZ für einen Softwarehersteller aus der dritten Reihe), heute nicht mehr mit gleichen Maße funktionieren sollen.

    Klar ist PR eine langfristige und strategische Aufgabe. Doch Public Relations-Programme, die über die Jahre hinweg nur das Erfolgsrezept von damals iterieren, werden sich binnen Kurzem totlaufen. Gerade der bevorstehende Jahreswechsel ist eine gute Gelegenheit, Gewohntes zu hinterfragen und mit den Kunden klar und (selbst-)kritisch über die künftige Ausrichtung der Kommunikationsarbeit zu sprechen. Denn jetzt können Kampagnenpläne für 2009 noch umgeschrieben und Budgets anders priorisiert werden.

    Im Umbruch liegt deshalb auch eine große Chance für Berater und Agenturen, die sich bei ihren Kunden als Lotsen mit Weitblick und Durchblick beweisen können.

  5. Weiterbildung und Nachwuchsförderung sind überlebensnotwendig
    PR-Fachleute, die sich nicht schleunigst selbst mit den neuen Prozessen in Redaktionen, neuen Technologien und den Marktverschiebungen im Mediensektor vertraut machen, werden das “Fach-” in ihrer Berufsbezeichnung bald streichen müssen.

    Ein PR-Berater, der noch nie Blogmonitoring mit den gängigen Tools ausprobiert hat, der noch nie in einem Blog oder Forum kommentiert hat oder Facebook, StudiVZ und Social Bookmarking nur vom Hörensagen her kennt, bringt sich um seine Jobchancen der nahen Zukunft. Weiterbildung im Job, sei es autodidaktisch in den Abendstunden zu Hause oder strukturiert in Seminaren und Workshops ist jetzt schon unerlässlich. Denn die Theorie zu kennen ist eine Sache, die Werkzeuge und Arbeitsweisen des Social Web aus praktischer Erfahrung zu beherrschen eine andere.

    Der PR-Nachwuchs ist unabhängig vom Studiengang ebenfalls gut beraten, sich schnell und umfassend mit den Mechanismen der öffentlichen Meinungsbildung, den Arbeitsweisen von Journalisten, mit Web 2.0-Technologien und so weiter zu befassen. Meine Erfahrung als “Junioren-Recruiter” bei meinem alten Arbeitgeber zeigt, dass kaum ein Hochschulabsolvent diese Voraussetzungen mitbringt. Praktika hin oder her. Zielführend ist hier meines Erachtens nur Eigeninitiative und Experimentierfreude. Denn Hochschulen und Berufsverbände mit ihren angeschlossenen Ausbildungseinrichtungen hinken der Entwicklung noch weiter hinterher als die Agenturen.

Die PR-Branche muss aus den Fehlern der Medienhäuser lernen

Angesichts der Veränderungen die uns ins Haus stehen und deren Einschläge wir immer näherkommen hören kann es sich der Berufsstand der Öffentlichkeitsarbeiter nicht leisten so zu tun, als würde uns das alles nichts angehen. Denn täten wir das, ginge es uns wie den Medienhäusern, die das Internet viel zu lange nicht ernst genommen haben und zu Gunsten von vielen Klicks auf Qualität verzichtet haben.

Die Lage ist zwar ernst, aber nicht hoffnungslos, denn auch das hat Rupert Murdoch erkannt, am Ende der Zeitungskrise wird eine neue Fülle von Medien stehen, die die Menschen ganz anders erreichen werden, als heute.

“In this coming century, the form of delivery may change, but the
potential audience for our content will multiply many times over.”

In seinem Statement für die Australian Broadcasting Corporation, das der Guardian in Auszügen wiedergibt, wird er außerdem mit den Worten zitiert:

“It used to be that a handful of editors could decide what was news
– and what was not. They acted as sort of demigods. If they ran a
story, it became news. If they ignored an event, it never happened,” he
added.

“Today editors are losing this power. The internet, for
example, provides access to thousands of new sources that cover things
an editor might ignore. And if you aren’t satisfied with that, you can
start up your own blog and cover and comment on the news yourself.”

Dem ist auch aus Sicht eines PR-Mannes nichts hinzuzufügen. Machen wir was draus!

PS: Wem das jetzt zu staatstragend war, kann sich zur Erheiterung ja auch diese Vorschläge zur Krisenbewältigung anschauen.


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